50+ in der Informatik – und was dann? – Eine Widerrede

Die Kolumne »50+ in der Informatik« in unserer Rubrik Faktor Mensch findet große Beachtung, auch bei unserem Doc Storage. Als Praktiker hat er allerdings eine etwas andere Sichtweise: Die heutigen Fünfziger hätten weder Pionierarbeit geleistet, noch müsste man sich über Veränderungen beklagen – genau deswegen sei die EDV erschaffen worden. Lesen Sie hier seine Widerrede…

Kolumne Doc Storage:

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Im Artikel »50+ in der Informatik – und was dann?« finde ich einige Dinge, die – meiner Meinung nach – doch zumindest einer weiteren Perspektive bedürfen:

1. …Unsere Branche ist schon seit langem »erwachsen«, und diejenigen, die vor 30 Jahren Pionierarbeit geleistet haben, sind halt jetzt in den 50ern, genau wie ich auch. …

Nein, unsere Branche ist schon lange erwachsen, und vor dreißig Jahren haben wir keine »Pionierarbeit« geleistet. Das waren doch eher die Kollegen in den fünfziger und vor allem in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Blechmonster immer kleiner und handlicher, die Lochstreifen und -karten langsam durch magnetische Träger ersetzt und vor allem die Vernetzung zumindest schon getestet wurde. Diejenigen, die die wirkliche Pionierarbeit geleistet haben, nämlich die Generation des Kollegen Zuse und vielleicht zehn, zwanzig Jahre danach, diese Leute sind meist leider schon nicht mehr unter uns.

2. Der eigentliche Zweck der EDV (ja, es gibt auch hierfür einen deutschen Begriff, wir haben es nämlich erfunden, ohne darauf rumreiten zu wollen…) war schon immer die Optimierung der betriebsinternen Abläufe und Prozesse und damit die Einsparung von Geld und Personal. Die Reduzierung der Personaldecke durch den Einsatz der Rechnertechnik ist nichts neues, sondern ein ursächlicher Teil der Nutzung dieser Technik. Also auch keine Herausforderung, der wir uns erst heute stellen müssen.

3. …Die Veränderungen betreffen nicht nur Größe, sondern vor allem auch Technologien – auch hier findet nach wie vor eine rasante Entwicklung statt. …

Auch diese »rasanten« Veränderungen haben in unserem Bereich bereits seit den vierziger Jahren stattgefunden. Das ist uns nur nicht mehr so gewärtig, da sie bei uns meist nicht linear, sondern exponentiell vor sich gehen. Da haben wir natürlich bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck immer schnellerer Fortentwicklung. Nüchtern betrachtet hatten wir diesen Zustand allerdings auch schon immer.

4. …Allerdings suchen Unternehmen nach jungen, gut ausgebildeten Menschen – die außerdem weniger kosten. …

Die meisten Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass sie ohne Investitionen nicht weiterkommen können. Und zu diesen Ausgaben gehört eben nicht nur die Anschaffung des neuesten und modernsten Gerätes, sondern ebenso die Akquise von den zwei wichtigsten Dingen in der EDV: Erfahrung und Gelassenheit.

Die Erfahrung, wie mit bestimmten Situationen umzugehen ist, und vor allem die Gelassenheit, wenn es einmal nicht so läuft wie geplant. Und diese beiden Eigenschaften bekommt man eben nicht bei den jüngeren Kollegen, die ihrerseits nichts dafürkönnen, »nur« noch nach dem abgehalfterten Bologna-Prinzip als Bachelor oder bestenfalls Master ausgebildet worden zu sein. Nochmal – die jüngeren Kollegen können nichts dafür, dass ihnen die Politik das gute alte Diplom, sei es nun in Informatik oder anderen Ingenieurswissenschaften, verwehrt hat.

Leider ist es aber nun einmal so, dass die nun als »älter« bezeichneten Kollegen in allen Bereichen der Informatik allumfassend ausgebildet wurden, und somit quasi als »universal soldier« in jeglichem Bereich der EDV eingesetzt werden können. Die jüngeren müssen von den Firmen erst nacherzogen, weiter ausgebildet werden. Selbst heutige Master sind nicht »fertig«, und kosten die Firmen meist in dieser Zeit mehr, als sie jemals über geringere Entgelte oder andere Einschränkungen einzusparen in der Lage sind. Nochmal – es gibt heute, dank Bologna, keine »jungen, gut ausgebildeten« Menschen mehr.

5. …Und beide haben wir erstmal nicht so richtig verstanden, was denn unsere verschiedenen Welten bedeuten. …

Nein, es gibt hier keine »verschiedenen Welten«. Es gibt, wenn überhaupt, nur unterschiedliche Begrifflichkeiten. Meist sogar lediglich andere Begriffe für exakt ein und dasselbe. Wir sollten uns hier von den Marketingabteilungen der Unternehmen nicht verwirren und instrumentalisieren lassen. Ich erspare uns jetzt einmal, wie viele Begriffe es inzwischen bei uns in der »Speicherwelt« für exakt dieselbe Sache gegeben hat. Ich habe mich, auch an dieser Stelle, schon genügend darüber aufgeregt. Das ist nämlich der Trick, mit dem sich die Herren (ja, meist sind es leider Herren) aus dem Mainframe- oder Bereich der mittleren Datentechnik das Odium der Professionalität vom anderen Stern verschafft haben. Da nennt man etwas nicht Verzeichnis, sondern Dataset, und etwas statt Datei eben Member, und schon ist man etwas komplett anderes. Völliger Blödsinn. Wir müssen die jüngeren Kollegen nur dazu bringen, eine vernünftige, weniger mit englischen Scheinvokabeln verschwurbelte Sprache zu nutzen, und schon sind das wieder ganz normale Menschen wie du und ich.

6. Zum Abschnitt über die Personalabteilungen (seufz, ja, auch hierfür gibt’s was deutsches) lasse ich mich nicht weiter aus. Junge, nach den vorhergehenden Beschreibungen unerfahrene Kollegen an die Auswahl von Informatikern zu setzen, noch dazu fachfremde, ist die Anleitung, wie man sich am besten selbst in den Fuß schießt. Wenn man sich anschaut, wer sich heutzutage in den sogenannten sozialen Plattformen als Personaldienstleister (sprich Kopfjäger) anbietet, da kann man eigentlich nur jedem wünschen, dass man diesen Frischlingen nicht in die Hände gerät.

7. … dass sich die Welt, der Arbeitsmarkt und die Unternehmen gewandelt haben und ein wenig mehr Kreativität und Flexibilität gefragt sind. …

Hier wüsste ich gern einmal, was genau sich in den letzten Jahrzehnten geändert haben soll. Ich meine zum negativen. Die Kollegen in der EDV mussten sich schon immer, meist in jedem Quartal, mindestens aber in jedem Geschäftsjahr, an neue Gegebenheiten anpassen. Ich sage nur »rudert schneller, der Chef will Wasserski laufen«, und jeder, der schon einmal ernsthaft auf einem Doppelboden gearbeitet hat weiß, wovon ich spreche. Es gibt keine kreativeren und flexibleren Mitarbeiter in einem Unternehmen als die in der EDV. So, und jetzt kann man mich – mal wieder – gern in der Luft zerreißen. Aber bitte nicht von Leadern und nicht mit Input oder ähnlichem.

Gruß
Doc Storage

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