Quantenprozessor: Googles Sycamore neu im Deutschen Museum

Mit dem Sycamore gibt es im Deutschen Museum eine technologische Revolution zu sehen: Der fünf Quadratzentimeter kleine Quantenprozessor schafft bis zu 54 Qubit und rechnet damit unfassbar schneller als herkömmliche Supercomputer. Zudem handelt es sich um den ersten Sycamore außerhalb der Google-Labore. Das verwundert nicht, denn der Betrieb des Quantenprozessors ist enorm. ITler sehen in dem Chip aber einen neuen Meilenstein in der Entwicklung der Computertechnologie.

Neu im Deutschen Museum: Der Sycamore-Quantenprozessor von Google (Foto: Deutsches Museum/Hubert Czech).Neu im Deutschen Museum: Der Sycamore-Quantenprozessor von Google (Foto: Deutsches Museum/Hubert Czech).Im Deutschen Museum in München gibt es ab sofort einen Quantenprozessor zu besichtigen. Aus IT-Sicht ein geradezu spektakulärer Neuzugang. Google hat diese Woche einen von nur zehn bisher hergestellten Sycamore-CPUs an das Deutsche Museum übergeben. Experten sehen den Quantenprozessor als Beginn einer neuen technologischen Revolution und als Meilenstein in der Entwicklung der Computertechnologie.

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Was für Außenstehende nach Marketing-Blabla klingt, versetzt ITler in helle Aufregung. Warum? Eine Rechenoperation, für die ein herkömmlicher Supercomputer 10.000 Jahre benötigen würde, erledigt der Sycamore mal eben so in 200 Sekunden! Der Aufwand, der hinter Quanten-Computing steckt, ist allerdings nicht minder spektakulär: Der Quantenprozessor benötigt vollkommene Dunkelheit und eine Umgebungstemperatur von -273 Grad Celsius, dem absoluten Nullpunkt. Der Preis der CPU wird auf rund 100 Millionen US-Dollar geschätzt.

Wie uns bestätigt wird, hat das Deutsche Museum den Sycamore als Schenkung erhalten. Das heißt, alle Eigentumsrechte wurden an das Museum abgetreten und der Prozessor verbleibt daher als Kulturgut auf ewig im Deutschen Museum.

Quantenprozessor: Erster Sycamore außerhalb der Google-Labore

Übergabe vor dem historischen Zuse-Computer Z3: Kuratorin Luise Allendorf-Hoefer vom Deutschen Museum, Generaldirektor Wolfgang M. Heckl (mit dem Sycamore), Markus Hoffmann und Hartmut Neven von Google (Foto: Deutsches Museum/Hubert Czech).Übergabe vor dem historischen Zuse-Computer Z3: Kuratorin Luise Allendorf-Hoefer vom Deutschen Museum, Generaldirektor Wolfgang M. Heckl (mit dem Sycamore), Markus Hoffmann und Hartmut Neven von Google (Foto: Deutsches Museum/Hubert Czech).»Wir sind stolz, als erstes Museum auf der ganzen Erde diesen Prozessor ausstellen zu können«, freut sich Generaldirektor Wolfgang M. Heckl bei der Übergabe des Sycamore im Ehrensaal des Deutschen Museums. Er dankte Hartmut Neven und Wieland Holfelder von Google für die Vermittlung des einmaligen Exponats. »Und einmalig stimmt hier wirklich: Es ist der erste Sycamore, der überhaupt die Google-Labore verlassen hat.«

Das Wunderding ist ab sofort in den Ausstellungen des Deutschen Museums zu bestaunen – zunächst in der Abteilung »Museumsgeschichte«, ab Ende des Jahres in der neuen Ausstellung Elektronik im modernisierten Teil des Museums.

Qubit: 0 und 1 gleichzeitig

In der Welt außerhalb des Museums aber versprechen Quantencomputer gigantische Möglichkeiten: Künstliche Intelligenz, Verschlüsselung und Entschlüsselung, Materialforschung, Medizin, Wetterdaten und Klimaentwicklung – bei hochkomplexen Aufgaben, die mit konventionellen Computern nicht zu lösen sind, könnten Quantencomputer helfen. Denn dem herkömmlichen Supercomputer sind physikalische Grenzen gesetzt. Selbst der modernste Supercomputer rechnet noch mit voneinander unabhängigen Bits – 0 oder 1. Ein Quantenbit (Qubit) eines Quantenprozessors kann dagegen die Zustände 0 und 1 gleichzeitig annehmen.

Noch dazu beeinflussen die Qubits einander gegenseitig, sie sind miteinander verschränkt. Das heißt, herkömmliche Computer zeigen bei einem Münzwurf Kopf oder Zahl. Beim Quantencomputer rotiert die Münze und zeigt beide Seiten gleichzeitig.

Der Sycamore-Quantenprozessor besitzt 54 Qubits. Bei der Rechenoperation im Oktober 2019 funktionierten nur 53. »Das zeigt auch, wie komplex diese Technik ist – und wie schwer zu beherrschen«, sagt Luise Allendorf-Hoefer, Elektronik-Kuratorin des Deutschen Museums. »Noch steckt der Quantencomputer in den Kinderschuhen. Das ist wie beim ersten Erdsatelliten, dem Sputnik. Der hat auch erst einmal gepiepst und damit bewiesen, dass er es in die Erdumlaufbahn geschafft hat.« Sycamore hatte auch diesen Sputnik-Moment: »Er hat bewiesen, dass es geht – die Operation, die er vollzogen hat, nämlich das Auslesen und Auswerten einer Zufallsaufgabe, ist eine eher exotische Aufgabe. Vielbedeutender war der technologische Sprung, der dahintersteckt.

Michael J. Hartmann vom Institut für Theoretische Physik an der FAU in Erlangen, ergänzt: »Ich denke, der Durchbruch, der mit diesem Prozessor gelungen ist, hat die letzten Zweifel an der Realisierbarkeit des Quantencomputings ausgeräumt. Damit ist klar: Diese Technologie wird enorm wichtig werden.«

Was an dem Exponat besonders beeindruckt: Die gigantischen Zahlen, die sich gleichzeitig damit abbilden lassen: Bei dem Sycamore waren es 2 hoch 53 mögliche Werte. Das sind neun Billiarden. »Das liegt schon an der äußersten Grenze unserer Vorstellungskraft«, meint Allendorf-Hoefer. Bei einem Quantenprozessor mit 300 Qubits wären es schon mehr Zustände, als es Atome im ganzen Universum gibt.

Quantencomputer: Rechen-Power aus der Cloud

So sieht der »Kühlschrank« des Quantencomputers aus (Foto: Google).So sieht der »Kühlschrank« des Quantencomputers aus (Foto: Google).Am Ende, glaubt Allendorf-Hoefer, könnte der Quantencomputer unsere Welt revolutionieren, er wird aber in dieser Form nicht in unser Alltagsleben einziehen. »Wer will schon ein Laptop oder Handy, das nur bei -273,15 Grad Celsius, also nahe dem absoluten Nullpunkt und in absoluter Dunkelheit funktioniert?« Stattdessen gibt es jetzt schon Möglichkeiten, mit Quantencomputern in der Cloud zu rechnen – bei Aufgaben, für die ein konventioneller Supercomputer viel zu langsam wäre.

Markus Hoffmann von Google München, der für die Quantum AI Gruppe die Aktivitäten in Europa und Asien verantwortet, sagt: »Wir arbeiten bereits heute eng mit deutschen Forschungspartnern wie BASF, Covestro oder Boehringer Ingelheim zusammen. Mit den Partnern Volkswagen und Mercedes-Benz haben wir schon erste Experimente auf dem Google Quantum Computer ausgeführt – und es damit sogar auf die Titelseite des Science-Magazins geschafft. Ein langfristiges Ziel ist hier zum Beispiel bessere Materialien für Elektrobatterien zu simulieren, um künftig den Einsatz seltener Erden zu reduzieren. Auch bayerische Forscher – wie Prof. Pollmann und Prof. Knap von der TU München – konnten in Zusammenarbeit mit Google bereits hochkarätige Forschungsergebnisse zum Quantencomputing erzielen.«

Und wer weiß: Vielleicht sind die Quantencomputer ja bald über das Forschungs- und Experimentierstadium hinaus. In der Zeit der schrankgroßen Großcomputer wie der Z3 und Z4 von Zuse, die man heute noch im Deutschen Museum bestaunen kann, hat ja auch niemand damit gerechnet, Computer mit sehr viel größerer Leistungsfähigkeit zukünftig in der Hosentasche mit sich herumtragen zu können. »Vielleicht haben die Menschen in 100 Jahren, wenn sie ins Deutsche Museum gehen und diesen Quantenprozessor sehen, ein ähnliches Gefühl, wie wir heute beim Betrachten der Zuse-Computer«, sagt Allendorf-Hoefer. »Das Potenzial des Quantencomputers ist jedenfalls gigantisch – und wir freuen uns sehr, dieses einmalige Stück Technik unseren Besuchern zeigen zu können.«

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